Der Stiftungsratsvorsitzende Hartmut Koschyk ist am heutigen Freitag beim öffentlichen Gedenkgottesdienst für Helmut Sauer, in der Kirche St. Raphael in Hannover-Garbsen. Lesen Sie hier seine Gedenkrede für Helmut Sauer, den langjährigen Vizepräsidenten des Bundes der Vertriebenen (BdV), Landesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien in Niedersachsen, Bundesvorsitzenden der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (OMV) der CDU Deutschlands und Mitglied des Bundestages für den Raum Salzgitter-Wolfenbüttel.
„Mensch, werde wesentlich!“
Der „schlesische Imperativ“ im Leben von Helmut Sauer
Gedenkrede von Hartmut Koschyk
Parl. Staatssekretär und Mitglied des Deutschen Bundestages a.D.
Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Verbundenheit der Deutschen im Ausland
23. Februar 2023
Aufgrund seines Geburtstages am 24. Dezember 1945, einem „Heiligen Abend“, wurde Helmut Sauer scherzhaft-liebevoll auch das „schlesische Christkind“ genannt. Am 24. Dezember 2023 konnte Helmut Sauer, von schwerer Krankheit gezeichnet, in Höxter zusammen mit seiner Schwester Renate seinen 78. Geburtstag begehen. Es sollte sein letzter Geburtstag hier auf Erden sein.
Am 25. Dezember 1624 wurde in Breslau der schlesische Arzt, Lyriker und Theologe Johannes Scheffler geboren, der unter dem Namen Angelus Silesius, der „schlesische Engel“, zu einem der größten Lyriker und Mystiker der Barockzeit geworden ist.
Eines seiner bedeutendsten literarisch-religiösen Zeugnisse ist das Gedicht „Mensch,werde wesentlich!“
Mensch, werde wesentlich:
Denn, wenn die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg,
Das Wesen, das besteht.
Angelus Silesius und dieses Gedicht, das ich als den „schlesischen Imperativ“ bezeichnen möchte, haben auch Helmut Sauer sehr geprägt.
Und so dürfen wir heute fragen: Was hat Helmut Sauers Wesen, sein Denken und Handeln so geprägt, dass dies mit seinem Heimgang nicht zu Ende gegangen ist wie sein irdisches Leben, sondern darüber hinaus Bestand für heute und morgen hat.
Da ist sein unverbrüchlicher Glaube an den dreieinigen Gott, der ihm von seinen Eltern in die Wiege gelegt worden ist und den er immer authentisch mit allen Höhen und Tiefen gelebt hat.
Dieser christliche Glaube war bei ihm jedoch nicht nur transzendent ausgerichtet, sondern er hat ihn stets als Handlungsauftrag für den Staatsbürger in dieser Weltgesehen, im Sinne des Auftrages des Propheten Jeremia „Suchet der Stadt Bestes!“
Von seinen Eltern Florentine und Alfons Sauer, mit denen er in einem gemeinsamen Grab in seinem Wohnort Salzgitter-Lebenstedt seine letzte Ruhe gefunden hat, war ihm, sicher auch aufgrund des erlittenen Vertreibungsschicksals vermittelt worden, dass Jammern und Klagen über den Zustand der Welt und die eigenen Lebensverhältnisse nichts zum Besseren wenden wird. Vielmehr muss man sein privates Leben und das öffentliche Leben in der menschlichen Gemeinschaft mit Gottvertrauen beherzt und tatkräftig anpacken, um jegliche Not zu wenden.
So hat Helmut Sauer früh und konsequent in ein vielfältiges Engagement für unser Gemeinwesen hineingefunden, als engagierter Laie in der Katholischen Kirche mit ihrer regionalen schlesischen Ausprägung, als Ratsherr der Stadt Salzgitter in der Kommunalpolitik, als Vertreter der Arbeitnehmerschaft im Betriebsrat der Salzgitter Wohnungs-AG des Salzgitter-Konzerns, als Abgeordneter des Deutschen Bundestages für über zwei Jahrzehnte, als ehrenamtlich engagierte Führungspersönlichkeit im Bund der Vertriebenen, in der Landsmannschaft Schlesien sowie in der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU.
Dabei sah er sich in der Tradition zweier Verwandter, die zu den großen Persönlichkeiten der Weimarer Republik und der Gründerjahre der Bundesrepublik Deutschland gehören:
Prälat Carl Ulitzka, bedeutender Zentrumspolitiker aus Oberschlesien, Mitglied des Reichstages, zeitweiliger Landeshauptmann von Oberschlesien, als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus Häftling im KZ Dachau, 1945 Mitbegründer der CDU Berlin.
Hans Lukaschek, Jurist, Kommunalpolitiker in Oberschlesien, Oberpräsident von Oberschlesien, 1933 des Amtes enthoben, Mitglied des Kreisauer Kreises, nachdem Attentat vom 20. Juli 1944 inhaftiert und am Tag des Einmarsches der Roten Armee in Berlin am 22. April 1945 aus der Haft entlassen. Als Mitbegründer der CDU war er 1945 Vizepräsident von Thüringen, Richter in Köln und Bundesvertriebenenminister im ersten Kabinett von Konrad Adenauer, in dessen Ministerzeit das Bundesvertriebenengesetz und das Lastenausgleichsgesetz verabschiedet wurden.
Indem er sich diese beiden Persönlichkeiten aus seiner Familie zum Vorbild nahm, konnte es nicht ausbleiben, dass Helmut Sauer bei seinem breit gefächerten politischen Wirken immer auch die Anliegen der Heimatvertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten im Blick hatte.
Helmut Sauer fühlte sich immer dem Ziel der Deutschen Einheit verpflichtet, hielt engen Kontakt zu seinen Angehörigen in der DDR und in Schlesien und war als Mitglied des innerdeutschen Ausschusses des Deutschen Bundestages einer der führenden Deutschlandpolitiker seiner Fraktion. Dabei wurde er über Parteigrenzen hinweg geschätzt. Zum langjährigen Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, dem Sozialdemokraten Egon Franke pflegte er ein freundschaftliches Verhältnis.
Aber auch im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sowie in zahlreichen sozialpolitischen Gremien und Verbänden hat er sich national und international einen Namen gemacht.
Da ihm durch seine in Schlesien verbliebenen Familienangehörigen das Nachkriegsschicksal der dortigen deutschen Bevölkerung sehr vertraut war, engagierte er sich frühzeitig für die Bewusstseinsmachung der an ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des KSZE-Prozesses. Er wirkte maßgeblich an einer in den 80er-Jahren entstandenen Dokumentation über die Menschenrechtslage der Deutschen jenseits von Oder und Neiße und einer Petition für seine Landsleute unter kommunistischer Herrschaft mit.
Seine schlesische Identität konnte Helmut Sauer niemand nehmen. Wenn er darauf angesprochen wurde, wie er sich denn als „Schlesier“ fühlen könne, wo er doch die überwiegende Zeit seines Lebens in Niedersachsen verbracht habe, antworteteer stets humorvoll:
„Auch wenn eine Kuh im Pferdestall kalbt, bleibt das Junge ein Kälbchen und ist kein Fohlen!“
Als am 9. November 1989 in Berlin die Mauer fiel, war es Helmut Sauer, der bei der abendlichen Sitzung des Deutschen Bundestages in Bonn die Nationalhymne anstimmte. An diesem Abend haben wir, ich als damaliger Generalsekretär und er als Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen erste Überlegungen angestellt,welche Folgewirkungen diese „Zeitenwende“ für die Arbeit des BdV und der ostdeutschen Landsmannschaften haben würde.
Helmut Sauer hat sich mit den Umständen der Deutschen Einheit schwer getan. So sehr er sich über die Wiederstellung der staatlichen Einheit Deutschlands freute, so sehr litt er unter der endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze. Doch er hat keineswegs resigniert und durch viele Reisen in seine Geburtsheimat und durch ein eindrucksvolles Engagement für die jetzt offiziell anerkannte und aufstrebende Deutsche Minderheit Schlesien und seine Menschen, egal welcher Nationalität neu für sich entdeckt.
Dabei ließ er sich vom großartigen Versöhnungswerk des Oppelner Erzbischofs Alfons Nossol leiten, dem er inniglich verbunden gewesen ist.
Unvergessen bleibt für mich ein gemeinsames Osterfest mit Helmut Sauer, seiner Schwester Renate, meiner Frau und unseren drei Kindern sowie unserem Freund Max von Frantzius bei meinen Verwandten, der Familie Hupka in Altzülz in Oberschlesien.
Besonders wichtig waren für Helmut Sauer die tiefen menschlichen Beziehungen zu seinem Geburtsort Quickendorf/Lutomierz, vor allem zu seiner Taufkirche St. Barbara in Peterwitz/Stoszowice.
Er war sehr glücklich, zu den überwiegend polnischen Bürgern dort, zum Pfarrer und Bürgermeister eine starke freundschaftliche Beziehung entwickelt zu haben. Als ich nach dem Heimgang von Helmut Sauer mit Pfarrer Marian Maluk in Peterwitz telefoniert und ihm die traurige Nachricht überbracht habe, sagte dieser „Wir haben einen treuen Freund verloren. Helmut bleibt ewig in unseren Herzen!“
Als Helmut Sauer am 10. Januar im Klinikum Braunschweig seine Augen für immer geschlossen und die Heimreise in „sein schlesisches Himmelreich“ angetreten hat, konnte er dies in dem inneren Frieden tun, dass er als ein „wesentlicher Mensch“ im Sinne von Angelus Silesius gelebt hat und dieses Leben getrost in Gottes Hand zurückgeben durfte.
Helmut Sauer hat in seinen 78 Lebensjahren nicht nur Staub aufgewirbelt, sondern tiefe Spuren hinterlassen.
Die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland wird in Würdigung der großen Verdienste von Helmut Sauer für die europäische Begegnungs- und Verständigungsregion Schlesien im Vorfeld seines 80. Geburtstages am 24. Dezember 2025 einen
Helmut - Sauer - Preis
für Jugendverständigung
in Schlesien
ausloben.
Mit diesem Preis sollen im Gedenken an und im Sinne von Helmut Sauer Jugendprojekte, die der Verständigung junger Menschen in der europäischen Region Schlesien, also in Polen, Tschechien und Deutschland, dienen, ausgezeichnet werden, welche die Kenntnisse über die Geschichte und Kultur der historischen Region Schlesien in allen drei Ländern erweitern, das gegenseitige Zusammengehörigkeitsgefühl und die Verständigung in Europa fördern und dabei die Brückenfunktion der deutschen Minderheiten in Polen und Tschechien würdigen.
Lieber Helmut, mit diesem Deinem Lebenswerk gewidmeten Preis soll Dein Andenken in Ehren gehalten werden und all das Wesentliche, woran Du zeitlebens geglaubt und wofür Du hart im Weinberg des Herrn gearbeitet hast, über Deinen Tod hinausfort wirken.
Mögest Du in Gottes ewigen Frieden ruhen.
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