In unserer neuen Folge unserer Kurzinterview-Reihe #verbunden_mit sprechen wir mit dem emeritierten Erzbischof der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands, Herrn Dietrich Brauer, der aufgrund seiner öffentlich kritischen Haltung zum Ukrainekrieg nach Deutschland geflohen war und Ende Februar als Ehrengast auf am Bayreuther Fastenessen teilgenommen hat.
Sehr geehrter Herr Erzbischof em. Brauer, zunächst einmal vielen Dank, dass wir Sie als Interviewpartner gewinnen konnten. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie nach fast einem Jahr in Deutschland
Meine Familie und ich sind vor allem dankbar dafür, dass wir nun in Deutschland in Frieden und Sicherheit leben und unseren Dienst in der Kirche tun können. Dennoch beschäftigt und belastet uns der Ukrainekrieg und seine grausamen Folgen für die Menschen in der Ukraine und auch in Russland weiterhin ganz stark.
Sie waren als Ehrengast beim Bayreuther Fastenessen 2023 und haben in einer beeindruckenden Passage Ihrer Ansprache die Parallelen zwischen den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Menschen in der Ukraine und der Passion, dem Leidensweg Christi, gezogen. Wie war Ihr persönlicher Eindruck vom Fastenessen? Wie sehen Sie die ehrenamtliche und humanitäre Hilfe für die Ukraine ein Jahr nach Beginn des Krieges?
Ich bewundere die vielen Menschen und Organisationen, die den Ukrainerinnen und Ukrainern helfen, sowohl denen im eigenen Land als auch denen auf der Flucht. Es ist sehr wichtig, dass neben verbalen Solidaritätsbekundungen und Friedenssehnsucht, die wir alle teilen, praktische und notwendige Schritte zur Unterstützung der Opfer der Aggression unternommen werden.
Wieviel Kontakt haben Sie noch zu Ihrer ehemaligen Gemeinde, wie ist die derzeitige Lage der evangelisch-lutherischen Kirche in Russland?
Leider ist der Kontakt zur Kirche in Russland weitgehend eingeschränkt. Man muss davon ausgehen, dass nicht über alles offen gesprochen werden kann. Es herrscht Angst vor möglichen Repressalien für jede Infragestellung der Politik, geschweige denn für Kritik am Staat.
Ihre Berufung in den präsidentiellen „Rat für die Zusammenarbeit mit religiösen Vereinigungen“ war ein Schritt der Anerkennung und Integration der evangelisch-lutherischen Gemeinde und damit letztlich auch der Russen mit deutschen Wurzeln.
Was bleibt hiervon übrig? Woran kann Ihr Nachfolger anknüpfen?
Eine Zusammenarbeit mit dem Staat ist nur möglich, wenn der Staat seinem Partner ein Mindestmaß an Freiheit und Recht zusichert. Sonst artet die Zusammenarbeit in Instrumentalisierung und Missbrauch der Religion aus. Unter aktuellen Umständen ist es äußerst schwierig, sich eine positive Interaktion vorzustellen.
In einem Interview mit dem Gustav-Adolf-Werk beschreiben Sie die Reaktionen der anderen Konfessionsvertreter auf die Aufforderung seitens des Präsidialamtes, sich klar unterstützend zum Krieg zu äußern. Das taten nur der Vertreter der katholischen Kirche und der Oberrabbiner nicht. Warum hielten sich die anderen zurück und warum mussten nur Sie den drastischen Schritt ergreifen, das Land zu verlassen und Ihr Amt aufzugeben? Warum haben sich ihrem Vorschlag einer gemeinsamen Erklärung nicht wenigstens einige Vertreter angeschlossen?
Das war eine große Enttäuschung für mich. Natürlich hat die Stimme nur unserer kleinen Kirche keinen Einfluss auf das große Land. Eine konsolidierte Stimme, ein Zusammenschluss mehrerer Religionsgemeinschaften für den Frieden, hätte etwas bewirken können. Aber das ist nicht geschehen, und jeder hatte seine eigenen Gründe für diesen Misserfolg, den er selbst zu verantworten hat.
Ihre Predigt vom 27.02.2022 war eine sehr schnelle und inhaltlich klare Reaktion auf den Kriegsbeginn. Blieb Ihnen überhaupt Zeit, abzuwägen, waren Ihnen alle möglichen Konsequenzen klar oder war es ihr persönliches „hier stehe ich und kann nicht anders“?
Die Invasion war eine schreckliche Überraschung. Es blieb kaum Zeit zum Nachdenken. Dies umso mehr, als die dringende Forderung des Staates nach einer bedingungslosen Befürwortung der sogenannten Sonderoperation keinen Spielraum mehr ließ.
Was sind Ihre aktuellen Pläne für die nähere Zukunft? Womit werden Sie sich in Deutschland beschäftigen und auf welche Art und Weise werden Sie sich mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen?
In Ergänzung zu meinem Gemeindedienst veranstalte ich im Ulmer Münster regelmäßig Friedensgottesdienste und Glaubensgespräche für Geflüchtete aus der Ukraine. Für mich sind das echte Lichtblicke in der Dunkelheit des Krieges. Ich freue mich, gemeinsam mit den Ukrainerinnen und Ukrainern das Licht der Hoffnung anzünden zu können und bete, dass dieses Licht den Weg in eine friedliche und freie Zukunft erleuchtet.
Vielen Dank für dieses Gespräch und alles Gute für Sie.
Das Interview führten Florian Schmelzer und Dominik Duda
Graphik: Dominik Duda