In Bayreuth am Sternplatz wurde am Jahresanfang eine Erinnerungsstätte für die Bayreuther Opfer des Holocaust errichtet. Das akustische Mahnmal konfrontiert Passanten mit dem kollektiven Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung während des 2. Weltkrieges, indem eine menschliche Stimme die Namen sowie Lebensdaten der Opfer spricht. Durch die besondere Art der Aufarbeitung der lokalen Geschichte wird sogleich das geteilte Leid von Millionen von Menschen begreiflicher gemacht.
Das von der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland diesmal in Bayreuth veranstaltete „Jugendforum Europa-Lateinamerika 2023“ setzte auch einen Schwerpunkt auf das Thema „Jüdisches und deutsches Kulturerbe in MOE/GUS und Lateinamerika“. Die Teilnehmer hatten im Rahmen einer Podiumsdiskussion die Gelegenheit, sich mit den geladenen Gästen Robert Eichler (Deutsch-israelische Gesellschaft Bayreuth-Oberfranken), Valeria Pascuttini (Vizepräsidentin, Deutscher Klub Rosario, Argentinien), Marek Dziony (Diakon, Vertreter, deutsche Minderheit in Polen) und Hartmut Koschyk (Ratsvorsitzender, Stiftung Verbundenheit) zum Thema auszutauschen. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Journalistin Irina Peter.
Heute leben in Argentinien über 150.000 Menschen jüdischen Glaubens, mehr als in jedem anderen lateinamerikanischen Staat. Die jüdische Gemeinde der Hauptstadt Buenos Aires gilt nach New York weltweit als die zweitgrößte außerhalb Israels. Spricht man über die deutsche Einwanderung nach Argentinien, denken die meisten trotzdem überwiegend an NS-Verbrecher, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sich im Land versteckten. Valeria Pascuttini betonte, dass es aber bereits vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den zwei Weltkriegen große Arbeitermigrationswellen gegeben habe. Auch ihre Familie siedelte sich vor dem Ersten Weltkrieg in Rosario an. Mit der Ansiedlung der NS-Täter in den 40er Jahren erlebte die deutsche Gemeinschaft in Argentinien auch auf Organisations- und Pressebene eine Spaltung. Die Deutsche La Plata Zeitung veröffentlichte z. B. Listen mit den Namen der Naziverbrecher. Während Peróns Regierungszeit wurden die Immobilien und Schulen der Deutschen konfisziert. Unter anderem beschleunigte auch das den Sprachverlust der Deutschen. Heute leben 1,3 Millionen deutschstämmige Menschen in Argentinien. Die deutsche Gemeinschaft ist sehr gut organisiert. Der Dachverband ist bestrebt den deutschen Sprachunterricht für eine breite Schicht zugänglich zu machen und die Menschen für die Vereinsarbeit zu motivieren. Dieses Vorhaben Unterstützt auch die Initiative #JungesNetzwerk der Stiftung Verbundenheit, die eine lebendige Verbindung zu Deutschland ermöglichen möchte, wie Hartmut Koschyk betonte. Der Ratsvorsitzende erläuterte dem Publikum sogleich, dass bereits nach der Zeit von Katharina der Großen eine Einwanderung der Wolgadeutschen in das lateinamerikanische Land erfolgt habe. Zahlrieche in Russland lebende Adlige entschieden sich das Land zu verlassen da ihre Privilegien nach dem Tod der Zarin vom Nachfolger nach und nach gekürzt wurden. Die Moderatorin des Panels, Irina Peter, die in ihrem Podcast „Steppenkinder“ Russlanddeutsche betreffende Themen behandelt ergänzte, dass sie während ihrer Forschungen festgestellt habe, dass die Bräuche der Wolgadeutschen in Argentinien sich viel stärker konserviert haben, als in den Kreisen der in Deutschland oder in Russland lebenden Gemeinschaft, was den Verfolgungen in der ehemaligen Sowjetunion zuzuschreiben sei.
Valeria Pascuttini ging noch eingehend auf die Arbeit der deutsch-jüdischen Gemeinschaft in ihrem Heimatort Rosario ein. Diese ist gut strukturiert, es gibt zwei jüdische Schulen und mehrere Wohltätigkeitsvereine. Der Deutsche Klub Rosario ist bestrebt das jüdische Schicksal zu enttabuisieren sowie die Spaltung der deutschen Gemeinschaft zu thematisieren. Für das Projekt „Woche gegen Rassismus und Antisemitismus“ durfte sie im Rahmen der Kulturgala der Stiftung Verbundenheit am 28.06. einen Förderpreis zusammen mit dem FAAG-Vertreter, German Lehrke, für die beiden Vereine entgegennehmen.
In Deutschland ist die nah 120.000 Menschen zählende jüdische Gemeinschaft nicht weniger aktiv. Die 1966 gegründete Deutsch-israelische Gesellschaft mit 5500 Mitgliedern und mittlerweile mit über 50 Arbeitsgemeinschaften fördert die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in den Bereichen Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft. Robert Eichler, Vertreter der Deutsch-israelischen Gesellschaft Bayreuth-Oberfranken, betonte dass die Organisation von der persönlichen bis hin zu der kulturellen und wirtschaftlichen Ebene für die Verständigung arbeite. Die öffentliche Wahrnehmung soll verändert werden, ebenso eine vielschichtige Darstellung der jüdischen Gemeinschaften und Israels soll, vor allem in der Presse, gefördert werden. Die Tagungsteilnehmer besichtigten im Anschluss auch die barocke Synagoge in der Stadt, die die älteste in Deutschland ist, die noch ihrer Bestimmung gemäß genutzt wird. Die Deutsch-israelische Gesellschaft arbeitet auch eng mit der Deutsch-polnischen Gesellschaft in Bayreuth zusammen und pflegt gute Kontakte zu den jüdischen Gemeinschaften in Polen, wo etwa 15.000 Menschen jüdischen Glaubens leben. Diakon Marek Dziony, der als Vertreter der deutschen Minderheit in Polen dem Gespräch online zugeschaltet wurde, erklärte, dass sich die jüdische Gemeinschaft vor allem auf die Großstädte Warschau, Krakau und Breslau konzentriere, aber auch in Schlesien das Glaubensleben mehr oder weniger noch lebendig sei. Der Aufarbeitung des deutsch-jüdischen Erbes verschrieben sich mehrere Vereine. Polen tat viel für die Erhaltung der Baudenkmäler, und seit der politischen Wende 1989/90 wurde das Judentum zunehmend zum Forschungsgegenstand der Wissenschaft. Ihre Geschichte ist auch mit der Geschichte der deutschen Minderheit eng verbunden, die heute um die 132000 Menschen zählt und gegenwärtig gegen die Kürzung des deutschen Sprachunterrichts vorzugehen versucht. Wobei sie auch auf die Unterstützung Deutschlands zählen kann.
Ratsvorsitzender Koschyk unterstrich, wie wichtig es sei, die kulturellen und religiösen Wurzeln zu erleben. Die Diskussionen spielen eine beachtende Rolle, denn Intoleranz, Arroganz und sogar Hass stellen eine reale Gefahr dar. Es ist eine bedeutende Aufgabe, dagegen zivilgesellschaftlich anzugehen, denn man soll Menschen zusammenführen, nicht spalten!
Text: Mónika Ambach